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Hilfe, ich habe einen Low-Performer im Team!
„Er ist sehr kompetent und ich möchte diesen Mitarbeiter unbedingt halten. Allerdings ist die Arbeitsleitung nicht befriedigend. Was kann ich tun?“ werde ich im Coaching einer Teamleiterin gefragt. „Wenn er geht, verlieren wir damit sein Wissen und es würde lange brauchen, eine neue, qualifizierte Person zu finden. Vor allem, weil es gerade so schwer ist, Fachkräfte in diesem Bereich zu gewinnen.“ Das schlimmste, was die Teamleiterin sich vorstellen kann ist, dass der Mitarbeiter kündigt. Sie fragt mich daher: Was kann ich tun, damit die Fachkraft erhalten bleibt und zugleich ihre Arbeitsleistung steigt?
Die Führungskraft erzählt im Coaching, dass sie im Unternehmen quasi die agile Arbeitsweise SCRUM verwenden. Im Sprint Planning werden die Arbeitspakete ausgewählt und wird gemeinsam die Dauer für die Tickets geschätzt. In den Dailys werden die Tickets für den Tag und pro Person festgelegt sowie Fragen und Hindernisse besprochen. Am Ende des einwöchigen Sprints findet das Review der Ergebnisse statt. Dabei wird regelmäßig sichtbar, dass ein Kollege die selbst geschätzte Bearbeitungsdauer nicht einhält.
Die Führungskraft bittet um einen Termin mit diesem Mitarbeiter unter vier Augen. Im Gespräch teilt sie ihre Beobachtung und fragt, woran es liegt, dass die geschätzte Zeit so oft nicht stimmt. Der Mitarbeiter räumt ein, das er sich viel ablenken lässt und sich manchmal in eine Programmierung so vertieft, dass die geplante Dauer im Nu zerronnen ist. Andere Tickets bleiben dann unbearbeitet.
Im Dialog unter vier Augen werden Lösungsideen entwickelt, wie die Ablenkung für ihn reduziert werden kann, z.B.: Weniger Homeoffice und mehr Büropräsenz, damit die Kinder nach der Schule nicht seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Früher mit der Arbeit anfangen, weil da noch keine ablenkenden Anrufe kommen. Doch nach einigen Wochen wird klar, das diese Vorsätze nicht praktikabel sind und weiterhin die Arbeitsleistung hinter den Erwartungen – also dem gemeinsamen Zeitplan – zurück bleibt. Was also nun, um einerseits den Mitarbeiter zu halten und andererseits auf die anhaltend ungenügende Arbeitsleistung hinzuweisen?
Ich schaue mir mit der Teamleiterin das Modell der „Situativen Führung“ nach Hersey/Blanchard an, damit Sie ihren Führungsstil bei dem Mitarbeiter reflektieren kann (siehe Bild).
Der Mitarbeiter ist fachlich sehr kompetent so dass „Anweisen“ nicht in Frage kommt. Eigentlich ist das „Abgeben/Delegieren“ genau passend, hier also das Verteilen der Aufgaben (Tickets) in der Sprint-Planung und den Dailys sowie dem Annehmen durch das Team und jedes einzelnen Teammitglieds. Jedoch mangelt es ja an der Umsetzungsverantwortung des einen Mitarbeiters.
Im situativen Führungsstil „Anleiten“ findet sie das Motivieren von Mitarbeitern attraktiv, aber Teilschritte zu kontrollieren entspricht nicht ihrem Führungsverständnis. Sie vertraut ihren Mitarbeitern.
Geht es also ums „Unterstützen“? Klingt plausibel. Aber worin? Fachlich ist er ja kompetent, somit eine hohe Problemlösefähigkeit. Sie überlegt. Wahrscheinlich braucht der Mitarbeiter Unterstützung in seinem Zeit- und Selbstmanagement, also seiner Selbstorganisation!
Ich frage daher, wie es wäre, wenn Sie den Mitarbeiter häufiger kontaktiert und nach dem Bearbeitungsstand fraget – auch mal mitten am Tag, beispielsweise nach 3 Stunden. Das empfindet meine Coachee, die Teamleiterin, als Kontrolle, nicht als Unterstützung. Sie vertraut ja Ihren Mitarbeitern, auch dem Low-Performer! Sie selber würde nicht gerne ständig kontrolliert werden. OK!
Die Frage ihres Chefs, wie es denn mit dem Projekt xyz so läuft, empfindet sie hingegen nicht als Kontrolle. Diese Frage findet sie als legitim und unproblematisch. Aha! Die Wortwahl macht also einen großen Unterschied, ob es als Kontrolle oder als Information bzw. Interesse wahrgenommen wird. Und „sich informieren“, sich für etwas interessieren, ist legitim und wird sogar von den meisten Menschen als wertschätzend empfunden. Also übt sie nun genau diese Formulierung ein. Nicht „Wie weit bist du?“ sondern „Wie läuft es so?“. Folgt je nach Antwort ein motivierendes Lob oder ein Hilfsangebot, wirkt es nicht wie Kontrolle sondern wie echtes Interesse und bedarfsgerechte Unterstützung.
Ursachen für schwache Arbeitsleistungen von Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern können in den Aufgaben, der Kompetenz, der Motivation und anderen Dingen liegen. Erkunden Sie als Führungskraft die Hintergründe mit dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin unter vier Augen. Führen Sie Ihre Mitarbeitenden flexibel mit dem situativen Führungsstil unter Berücksichtigung des aktuellen Reifegrads der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters.
Situatives führen heißt, das verschiedene Situationen verschiedene Führungsstile brauchen. Mit Situation ist dabei zum einen die Aufgabe gemeint, zum anderen der Reifegrad der Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters: Wie motiviert und kompetent ist die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter? Schauen Sie dabei nicht nur auf die fachliche Kompetenz, sondern auch auf überfachliche Kompetenzen wie beispielsweise die Sozialkompetenz, Kommunikationskompetenz oder – wie im oben beschriebenen Fall, auf die Kompetenz im Zeit- und Selbstmanagement.
In agilen Arbeitsumgebungen mit Scrum liegt der Fokus auf der Selbstorganisation des Teams. Dabei wird in Retrospektiven die Zusammenarbeit reflektiert und optimiert. Die individuelle Weiterentwicklung kann dabei vielleicht vernachlässigt werden. Achten Sie als Führungskraft oder Scrum Master daher nicht nur auf den Reifegrad des Teams als ganzes sondern auch auf den Reifegrad jedes einzelnen Teammitglieds.
Vor allem: bleiben Sie in Ihrem Führungsstil flexibel.
Claudia Seidel
Coaching Methoden
Reframing von Glaubenssätzen/Werten
Hintergrundwissen: Situatives Führen und Reifegradmodell nach Hersey/Blanchard