Mittagspause einer großen Veranstaltung. In der Buffetschlange steht hinter mir ein Mann und wundert sich, dass es nur vegetarisch-vegane Gerichte gibt. Dann platz es lautstartk aus ihm heraus: „Wie, kein Fleisch? Ich lasse mich doch nicht bevormunden, was ich esse!“ Er argumentiert noch mit dem Personal und dem Veranstalter. Dann sehe ich, wie er geht. Beim Nachmittagsprogramm ist er nicht mehr dabei.
Was ist Bevormundung?
Wikipedia schreibt zu Bevormundung: „Die freie Entscheidungen ausschließendes oder hemmendes Einwirken auf Personen“. Synonyme sind Entmündigung, Beaufsichtigung, Bemutterung, Betreuung, Anleitung.
Gab es hier eine Bevormundung? In meinen Augen nicht. Das wäre für mich beispielsweise, wenn meine Chefin kritisch beobachtend hinter mir steht, während ich eine Arbeit verrichten soll. Das passiert hoffentlich nur bei Einarbeitungen.
Woher also das Gefühl der Bevormundung? Es hängt mit der Wahrnehmung, Interpretation und den ausgelösten Emotionen zusammen!
Ist die Einschränkung der Wahl-Freiheit gleich Bevormundung?
Häufig ist Bevormundung und damit das Gefühl, keine Wahl-Freiheit zu haben, unserer Ansicht nach eine Tatsache! Es gab kein Fleisch und damit „durfte“ der Mann hinter mir kein Fleisch essen! Er konnte es ja nicht auswählen. „Ich lass mir doch nicht vorschreiben, was ich esse! Das lass ich mir nicht Bieten! “ so seine Interpretation des Buffets ohne Fleisch und seine Reaktion darauf.
Das er nach wie vor die Wahl hatte, kam ihm vor lauter Erregung und Wut erst nach vielen Diskussionen in den Sinn: Er kann ja gehen! – So verließ er dann aufgebracht die Veranstaltung und kam nicht wieder zurück. Das war seine Wahl! Er hätte noch andere Wahl-Möglichkeiten gehabt: Außerhalb der Veranstaltung ein Restaurant aufzusuchen, dort Fleisch zu essen und wieder zurück zur Veranstaltung zu kommen. Er hätte auch einfach nichts essen können. Er hätte die vegetarischen Sachen mit zugehaltener Nase essen können um nichts zu schmecken.
Fällt Ihnen noch eine Wahlmöglichkeit ein?
Freiheit kommt mit Wahlmöglichkeiten
Freiheit heißt für uns in Deutschland nicht nur freie Meinungsäußerung, sondern auch Wahlmöglichkeiten zu haben, beispielsweise in meinem Verhalten. Blicke ich auf die Wahlmöglichkeiten, kommt das Gefühl der Bevormundung nicht auf, auch dann, wenn ich aufgrund von Regeln oder Vorschriften „nicht alles machen kann“ bzw. aufgrund von Tatsachen – wie dem vegetarischen Buffet – meine Wahlfreiheit eingeschränkt ist.
Doch manchmal ist unsere Wahrnehmung, Interpretation und Reaktion eines Sachverhalts wie fremdgesteuert. Wir sehen nur das Negative, die einengende Variante. Unser Blick verengt sich und wir empfinden dadurch Bevormundung. Dadurch überkommt uns Frust oder Wut.
Das Gefühl der Bevormundung, die damit einhergehende Verengung der Sichtweise, die daraus resultierende Wortwahl und Diskussion und die damit hochkochenden Emotion … Ein „Teufelskreis!“
Im Arbeitskontext kommt kann das Gefühl der Bevormundung beispielsweise dann hochkommen, wenn es im Unternehmen um die Einhaltung einer Kernarbeitszeit geht, die Erledigung einer Arbeit nach Vorgaben oder bei der Einhaltung einer maximalen Anzahl von Homeoffice-Tagen. Manche Beschäftigte sehen darin nur die einschränkenden Regeln, nicht die drumherum bestehenden Wahlmöglichkeiten. Nein! Sie fühlen sich durch die Vorgaben und Regeln in ihrer Freiheit eingeschränkt, fühlen sich bevormundet und empfinden darüber Frust oder gar Wut. Die Emotionen gehen mit ihnen durch und ihr Verhalten ist entsprechend diskussionsfreudig und vehement.
Und genau das sind typische Themen in meinen Fach- und Führungskräftecoachings. Ja sogar in Teamcoachings. Und zwar dann, wenn der Preis für das emotional gesteuerte Verhalten zu hoch ist, ich selber, meine Kollegen oder das Team darunter leiden!
Die Emotionen übernehmen die Steuerung
Der Herr aus dem Beispiel oben kommt natürlich nicht in ein Business-Coaching zu mir, um das Gefühl der Bevormundung zu beleuchten. Denn seiner Ansicht nach ist das ja eine Tatsache! Es gab kein Fleisch und damit durfte er kein Fleisch essen! Er konnte nicht auswählen! Er hätte vegetarisch essen müssen! Das wollte er sich aber nicht vorschreiben lassen.
Aber wurde er beaufsichtigt oder entmündigt?
Nein! Das Gefühl der Bevormundung wurde verursacht durch seine eigene Interpretation und die damit ausgelösten negativen Emotionen!
Das er nach wie vor die Wahl hatte, kam ihm vor lauter Wut erst nach einer aufgebrachten Diskussion in den Sinn: Er kann gehen! Das es noch weitere Wahlmöglichkeiten gibt, kam ihm vor Ärger nicht in den Sinn. Er war wie fremdgesteuert – und zwar von seinen Emotionen!
Tat es Ihm gut, gegangen zu sein? Vielleicht im ersten Moment ja. Den Rest der Veranstaltung, die er ja besuchen wollte, hatte er dadurch jedenfalls verpasst.
Das heißt, wenn wir nicht wirklich „beaufsichtigt und entmündigt werden“ kommt das Gefühl der Bevormundung oder Freiheitseinschränkung aus einer anderen Ecke: Nämlich der Art und Weise, wie wir etwas Wahrnehmen und Interpretieren. Und den dadurch ausgelösten Gefühlen, beispielsweise Wut.
Bevormundung, sich also in seiner Freiheit eingeschränkt und fremdgesteuert fühlen, kann von außen oder von innen kommen. Von außen beispielsweise durch eine reale Person die mich und mein Verhalten überwacht. Von innen durch die Art und Weise wie ich etwas wahrnehme, interpretiere und wie ich mich dadurch fühle und verhalte. Und genau letzteres ist ein typisches Thema in meinen Business-Coachings.
So steuern Sie Ihre Emotionen, wenn sie durch ein Gefühl der Bevormundet hochkochen:
- Nehmen Sie Achtsam wahr, in welchen Situationen Sie sich bevormundet fühlen und ihre Emotionen auf Abwehr-Autopilot schalten, obwohl Sie eine Wahlmöglichkeit haben. Das kann beispielsweise sein, wenn jemand mit Ihnen über Regeln spricht, sich dadurch ihr Hals verengt und die Wut im Bauch hochkommt.
- Glückwunsch: der erste Schritt ist getan, denn Anerkennung der „Gefahren-„Situationen ist Voraussetzung, um wieder die Wahlfreiheit und Sachlichkeit zu erkennen!
- Überlegen Sie, was Sie stattdessen wollen. Beispielsweise wollen Sie sich nicht gleich bevormundet fühlen und in Abwehr gehen, sondern sachlich Ihre Wahl-Freiheit analysieren und bedacht handeln.
- Üben Sie in Gedanken und idealerweise auch mit dem Körper und der Seele (gefühlsmäßig), wie Sie das gewünschte Ziel erreichen. Beispielsweise können Sie die erste Wut zweimal „wegatmen“, um dann den Blick zu weiten, und alle Wahlmöglichkeiten und Konsequenzen durchzuspielen.
- Wenn die Gefahr besteht, dass Sie sich bei einem bevorstehenden Gespräch bevormundet fühlen und in das alte, unförderliches Muster verfallen, üben Sie kurz davor die oben eingeübte Beruhigung und Blickwinkel-Erweiterung.
- Akzeptieren Sie Rückschläge. Sie haben sich jahrelang anders verhalten, das können Sie nicht von heute auf morgen verändern. Aber wie heißt es so schön: Übung macht den Meister – oder die Meisterin.
Das Gefühl der inneren Bevormundung überwinden, (Wahl-) Freiheit gewinnen
Menschen, die sich innerlich bevormundet fühlen werden solange lautstark protestieren und sich beschweren, solange der Preis des „sich unfrei Fühlens“ niedriger ist als der Preis „der Wahlfreiheit“. Erst wenn ich durch den eingeschränkten Blickwinkel und den daraus resultierenden Autopilot meiner Emotionen etwas mache, was ich nicht will oder was ich hinterher bereue, wie im Beispiel oben zu gehen und den Rest der Veranstaltung zu verpassen, erst dann werde ich bereit sein, etwas zu verändern. Erst dann will ich lernen, meinen eingeengten Blickwinkel zu hinterfragen und ihn zu weiten. Erst dann möchte ich lernen, meine Wahrnehmung und Interpretation einer Situation und die damit erzeugten Emotionen und Verhaltensweisen zu hinterfragen und steuern zu lernen.
Welche Konsequenzen aus Ihrem emotionalen Verhalten bzw. eingeengten Blickwinkel wollen Sie nicht mehr haben?
Wollen Sie beispielsweise das Gefühl der Bevormundung überwinden? Wollen Sie mehr Selbstwirksamkeit wahrnehmen? Wollen Sie mehr Anerkennung spüren?
Probieren Sie dazu das im Kasten vorgeschlagene Vorgehen aus. Reicht das nicht, kann ich Sie gerne im Rahmen eines Businesscoachings bzw. Fach- und Führungskräftecoachings unterstützen. Lassen Sie uns den Umgang mit einengenden Blickwinkeln, nervigen Emotionen und unförderlichen Verhaltensmustern verändern. Ich bin bereit!
Claudia Seidel
Coaching Methoden
Emotionscoaching-Tools und Skill nach ORSC™ sowie Abläufe beim Umgang mit Emotionen, die ich in der Resilienz-Akademie gelernt habe. Eigene Abwandlungen.